Geduld ist der Schlüssel

„Der Erfahrungsaustausch mit einem anderen Patienten war ein wichtiger Schritt.
Das war der Wendepunkt, der mir die Angst genommen und in Hoffnung verwandelt hat“, sagt Steffen Kintzelt.

Geboren mit dem Ushersyndrom

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Das Geplapper und Brabbeln von Babys und Kleinkindern gleicht einer Geheimsprache, die sich bei jedem Kind gleichermaßen unverständlich anhört. Als Steffen Kintzelt auf die Welt kommt, ist sein Bruder drei Jahre alt und den Eltern fällt langsam auf, dass der große Bruder Wörter ungewöhnlich falsch versteht und ausspricht. Ein Besuch beim Arzt bringt Klarheit und die Diagnose: Schwerhörigkeit. Viel später, erst im Jahr 2001, stellt sich schließlich heraus, dass es sich um das Ushersyndrom handelt. Eine Krankheit, die die zwei Sinnesorgane Auge und Ohr betrifft. Steffen hat, wie sein Bruder auch, das Ushersyndrom Typ 2. Das heißt, er wird mit einer hochgradigen, gleichbleibenden Schwerhörigkeit geboren. Doch anders als bei seinem Bruder, wissen die Eltern frühzeitig Bescheid. So bekommt Steffen als Zweijähriger bereits gute Hörgeräte für beide Ohren und lernt von Anfang an die richtige Aussprache. „Ich hatte überhaupt gar keine Einschränkungen oder Probleme. Ich bin auf ein normales Gymnasium gegangen. Für mich gehörte das Hörgerät einfach zum Leben dazu und hat mich nicht gestört“, so Steffen. Den Unterschied, wie es ist, richtig gut hören zu können, wird er lange nicht kennenlernen. Trotz der Krankheit ist Steffen ein positiv eingestellter Mensch. Alle fünf Jahre hat er Anspruch auf ein neues Hörgerät und alle zwei Jahre stellt es ein Hörakustiker neu ein und justiert nach. „Was mit der Zeit auffiel, ist, dass das Audiogramm immer schlechter wurde. Aber von einer Ertaubung war nie die Rede“, erklärt Steffen.

























Ein Hörsturz mit Folgen

Es ist kurz vor Ostern 2012. Mittlerweile ist Steffen zweifacher Vater, lebt mit seiner Familie bei Berlin und arbeitet als Heilerziehungspfleger für Menschen mit Behinderungen. Seit Tagen quält ihn eine schwere Erkältung, bis Steffen nachts schweißgebadet aufwacht. Es macht „KNACK“ im Ohr. Steffen ist sofort beunruhigt: „Am nächsten Morgen hörte sich alles an, als stünde ich in einer großen Bahnhofshalle. Ich wusste sofort, da ist was nicht in Ordnung.“ Kurz danach ist klar: Wenn Kortison nach diesem schweren Hörsturz nicht zu einer Verbesserung führt, ist das linke Ohr an der Grenze zur Taubheit. Im Krankenhaus bekommt Steffen die Gewissheit und dem damals 32-Jährigen wird ein Cochlea Implantat empfohlen.

Durch Ärzte und Broschüren informiert sich Steffen darüber, was genau dieses CI überhaupt ist. Noch nie zuvor hatte er davon gehört. Gedanken rauschen ihm durch den Kopf: „Was ist mit meiner Arbeit? Werde ich meine Familie noch finanziell unterstützen können? Kann ich dann überhaupt noch so aktiv sein, wie zuvor? Was bedeutet das jetzt? Ein Implantat! Oh Gott, jetzt schneiden sie mir den Kopf auf!“

Von der Angst zur Hoffnung – ein Gespräch, das alles verändert

Von dem ersten Schrecken erholt, möchte Steffen genau wissen, was möglich ist und wie das mit dem CI funktioniert. Zufällig sieht er auf dem Flur im Krankenhaus einen anderen Patienten, der auf beiden Seiten das in seinen Broschüren abgebildete Cochlea Implantat trägt. Eine Krankenschwester vermittelt ein Gespräch. Jetzt kann Steffen alle Fragen loswerden, die ihn bisher gequält haben: „Es stand eigentlich alles in den Unterlagen, die ich von der Klinik bekommen habe. Da habe ich aber nur die Hälfte verstanden. Von Betroffenem zu Betroffenem -  das ist anders, ein Erfahrungsaustausch eben. Das war der Wendepunkt, der mir die Angst genommen und in Hoffnung verwandelt hat.“


Steffen Kintzelt

„Zum ersten Mal konnte ich so richtig die Vögel zwitschern hören!"

Die Chance

Die Familie ist geschockt. Irgendwie betroffener als er selbst. Was ist, wenn etwas schiefgeht? „Durch das Ushersyndrom haben sich meine Augen über die Jahre verschlechtert. Mein Blickfeld hat sich auf fünf Grad verengt und da kann man nichts machen. Aber für mich war es wichtig zu wissen, dass es etwas gibt, das mir helfen kann, der Ertaubung entgegen zu wirken. Mir war klar, ich möchte die OP machen“, erklärt Steffen. Seine Frau war in dieser Zeit unterstützend an seiner Seite. Das hat Steffen geholfen, zu seinen positiven Gedanken zurück zu finden: „Ich hatte ja schließlich keine tödliche Krankheit und in der neuen Situation habe ich auch eine Chance gesehen.“

Der Beginn der CI-Karriere

Knapp zwei Monate später ist es soweit, das Cochlea Implantat soll eingesetzt werden. „Da hat meine CI-Karriere begonnen“, sagt Steffen halb schmunzelnd. So lustig war es aber nicht, denn kurz nach der OP hat er mit massivem Schwindel zu kämpfen. Vier Wochen wartet Steffen auf Besserung, so lange braucht das Implantat, um an der Hörschnecke zu heilen. 

Die Rehaklinik als Trainingslager

Im Juli dann gibt es den ersten Termin mit dem Hörakustiker zur Erstanpassung. „Wer jetzt denkt: so, fertig, das war es dann jetzt, der liegt völlig falsch“, stellt Steffen klar. Er hört wieder etwas – allerdings sind das völlig neue Eindrücke. Angst macht ihm das trotzdem nicht, denn in der MediClin Bosenberg Kliniken im Saarland fühlt er sich gut aufgehoben. Was jetzt wichtig ist: Training für den Hörnerv. „Und das braucht Zeit“, weiß Steffen. Tonübungen, Sprachstunden, tägliche Einstellungen und Anpassungen stehen auf dem Plan, genauso wie Entspannung, Musiktherapie und Informationsaustausch. „Das ist ein Rundum-Sorglos-Paket. Aber keine Frage, es ist auch unglaublich anstrengend. Das Hören mit einem CI ist am Anfang sehr anders, die Anpassungsphase kann stressig sein“, und abends ist Steffen einfach kaputt.

Geduld ist der Schlüssel

Es gibt viel Neues zu lernen. Das Wichtigste ist für Steffen aber, geduldig mit sich selbst zu sein: „Ich habe bei einigen Mitpatienten beobachtet, dass sie unzufrieden mit sich waren, da sie sich einen schnellen Erfolg versprochen haben. Das bremst aus.“ Die mentale Einstellung ist ein wichtiger Faktor – an diesen Tipp von dem Herrn im Krankenhausflur kurz nach seinem Hörsturz erinnert sich Steffen immer mal wieder selbst. Nach und nach stellen sich kleine Trainingserfolge ein. Allerdings ist der 32-Jährige auch hoch motiviert. Manchmal geht er sogar in den Ort und fragt wildfremde Leute nach dem Bahnhof: „Es war nicht so, dass ich nicht wusste wo der ist. Ich wollte nur einfach schauen, beziehungsweise hören, ob und wie ich die Leute verstehe, die nichts von meinem Implantat wussten.“ Auf seinen Erkundungen im Saarland gibt es noch etwas ganz Neues für Steffen: „Zum ersten Mal konnte ich so richtig die Vögel zwitschern hören! Das liegt daran, dass durch das Implantat jetzt auch der Hochtonbereich stimuliert und durch ein Hörgerät nur der Tieftonbereich abgedeckt wird.“ Neben der Freude über die Fortschritte gibt es dann aber einen Rückschlag. Das rechte Ohr wird ebenfalls immer schlechter. Steffen entschließt sich, direkt im nächsten Jahr auch auf der anderen Seite ein CI einsetzen zu lassen, sodass sich seine „CI-Karriere“ um die doppelte Zeit verlängert hat.

Vom Patienten zum Ratgeber

Vom Patienten zum Ratgeber

Knapp ein Jahr später nach der Nacht des Hörsturzes beginnt für Steffen seine zweite Reha mit anschließender Wiedereingliederung in seinen Beruf. Seitdem ist er selbst manchmal Ratgeber für Neupatienten. Er gibt gerne weiter, was er über sich und das CI gelernt hat: „Durch den Hörsturz habe ich die Entscheidung nicht aus mir heraus getroffen. Aber das CI ist die richtige Wahl, wenn der Alltag mit einem Hörgerät so stressig wird, dass man sich immer mehr zurückzieht.“ Für ihn ganz persönlich war es Glück im Unglück: „Diese Momente heute, wenn ich mit meiner Frau und meinen Kindern unterwegs bin und sie nach mir rufen und ich sie höre. Wenn ich mich, anders als früher, umdrehe, sehe ich in strahlende Gesichter.“ Steffen kann wieder arbeiten, als Heilerziehungspfleger für Menschen mit erlittener Hirnschädigung. „Und Dank immer neu entwickelter Sounds, kann ich heute eine Nachtigall von einem Specht unterscheiden – zumindest den Unterschied im Klang“, schließt Steffen augenzwinkernd ab.

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