Bis die Entscheidung für ein Cochlea Implantat 
wie eine reife Frucht vom Baum fällt

„Beim Cochlea Implantat geht es nicht um die Verpflichtung, dass man gut hören muss, sondern wie gut 
oder schlecht man mit seiner Behinderung klarkommt“, sagt Dr. Harald Seidler.

Vom Betroffenen zur Berufung

Vom Betroffenen zur Berufung – so lief es bei Herrn Dr. Harald Seidler, Chefarzt der Fachklinik für HNO-Erkrankungen und Innere Medizin an den MediClin Bosenberg Kliniken. Zumindest klingt es so, wenn man heute seinen Lebenslauf liest. Seine Karriere kann aber als holpriger Weg angesehen werden, der sich durch viele Hochs und Tiefs auszeichnet. Seidler ist selbst seit seiner Kindheit hochgradig schwerhörig, konnte jedoch mit viel Unterstützung der Lehrer und seiner Eltern die Schulzeit normal durchlaufen. Heute ist er glücklich mit seinem Cochlea Implantat, welches er aber erst mit 51 Jahren hat einsetzen lassen.

Musik in meinen Ohren

Musik in meinen Ohren

Über die Jahrzehnte kann Dr. Seidler seine Hörbehinderung auch im Beruf mit Kommunikationsanlagen und Gesprächsstrategien sehr gut kompensieren. „Vor einiger Zeit habe ich dann aber eine immer stärker werdende Hör-Anstrengung wahrgenommen, die mich in meinem Alltag zurückgehalten hat“, erklärt er. Als Kind will er unbedingt wie seine Geschwister Klavier spielen. Seine Eltern unterstützen ihn dabei, was ihm in seiner Resthör-Fähigkeit sehr hilft. Bei der Entscheidung für oder gegen ein CI ist Dr. Seidlers Sorge jedoch, dass er mit dem Implantat sein volles Hör- und Bauchgefühl beim Klavierspielen verlieren könne. Letztendlich entscheidet er sich für eine OP. „Die Anpassungsphase verlief sehr gut und sehr schnell. Nur allein beim Klavierspielen hat es ungefähr ein Jahr gedauert, bis ich wieder mit großem Genuss spielen konnte. Heute höre ich aber all die Klänge dafür besser und schärfer.“ Angst vor dem Verlust von Hörresten sollte also keiner haben, meint Dr. Seidler. Für ihn ist der ausschlaggebende Faktor für ein CI nicht die Verpflichtung, dass man gut hören muss, sondern wie gut oder schlecht man mit seiner Behinderung klarkommt. Viele fühlen sich bei zunehmender Hör-Anstrengung erschöpft und es kommt zum sozialen Rückzug. Spätestens dann macht eine OP laut Dr. Seidler Sinn: „In meiner persönlichen Entscheidung für ein CI spielte die größte Rolle die Frage, ab wann ein Implantat genau nötig ist. Meine Empfehlung ist es, so lange zu warten, bis man sich mit der Entscheidung für ein CI im Einklang findet. Bis die reife Frucht vom Baum fällt.“ 


Dr. Harald Seidler

„Ganz simpel, die Leute mit meiner Arbeit zum Hören zu bringen, und das schnell und einfach. Die Wandlung vom Mauerblümchen zum selbstbewussten Gesellschafter immer wieder zu erleben, so dass meine Patienten auch wieder Kommunikationsberufe ausüben können."

Die Hör-Muckibude

Die größte Unterstützung nach der OP findet er im stationären Reha-Prozess und insbesondere in seinem Bosenberg-Team, dessen herausragende Qualität er am eigenen Leib erfährt. Dr. Seidler vergleicht das Hören-Lernen mit dem neu eingesetzten CI, mit einer Hör-Muckibude: „Hör-Entwöhnung ist wie Muskelathrophie. Die einzelnen Bereiche müssen kontinuierlich und aufeinander aufbauend wie in einem Fitnessstudio trainiert werden. Dies kann bei der Muskulatur zu Muskelkater führen. So ist auch das Wieder-Hören-Lernen anstrengend. In einer stationären Anpassungsphase klappt das besser und schneller als ambulant, da neben anstrengendem Hörtraining auch Entspannung und Geselligkeit möglich sind. Der Reha-Prozess ist ein Lernprozess. Als Hörender kann man es sich so vorstellen, als wenn man eine vergessene Fremdsprache neu erlernt. Einige Vokabeln kennt man nicht mehr, aber die Fortschritte gehen sehr schnell.“

 

Seine größte Überraschung bei seinem eigenen Anpassungsprozess: Die Stimmen seiner Familie, seiner Frau und Kinder, aber auch sich selbst hört er mit dem CI mit einem anderen und klareren Klang. Andere kleine, aber feine Details, die ihn positiv überrascht haben und auch nicht mit dem modernsten Hörgerät möglich wären: Die eigene Artikulation verbessert sich deutlich. Neue Erlebnisse sind auch das leichte Zischen von Sprudelperlen nach dem Öffnen einer Wasserflasche, oder das Reiben der Hände über Stoff. Insgesamt betrachtet Herr Seidler das Hören mit CI als Hör-Entdeckungsreise.
























Aufklärungsbedarf auch noch in Fachkreisen zu spüren

Die Begeisterung für das CI von Herrn Dr. Seidler schwingt nicht durch die gesamten Fachkreise: Auch wenn seine Kollegen sehr gut vernetzt sind, hat dies nicht dazu geführt, dass auch alle HNO-Ärzte fit im Thema CI sind. Es gibt immer noch viel Aufklärungsbedarf, auch auf Experten-Seite. Ein wichtiger Punkt für ihn: „Seit 30 Jahren ist das CI bereits im Einsatz, aber die Anpassung ist immer noch nicht standardisiert.“ Auch dass sich sehr viel im Bereich der CI-Technik getan hat, wissen viele Experten nicht. Dabei ist eine einfühlsame Beratung und Begleitung für Patienten das A und O, die oftmals unsicher sind und viele Fragen haben. Auch wenn die Cochlea Implantation mit wenig Risiken verbunden ist, schnell geht und heutzutage mit einer Mittelohroperation vergleichbar ist, bleibt es eine OP am Kopf. „Dementsprechend sind umfangreiche Informationen und eine umfassende Aufklärung der Patienten wichtig“, erklärt der Experte. „Auch der Anpassungsprozess ist ein großes Fragezeichen. Hier kann ich immer wieder betonen, dass dieser sehr gut und schnell durchlaufen wird, von Patienten jeden Alters.“ Für den fachlichen Austausch, aber auch für Gespräche der Patienten untereinander hat Herr Dr. Seidler deshalb das CI-Café in der Bosenbergklinik ins Leben gerufen. Bei diesem treffen sich alle CI-Träger, Interessierte und deren Angehörige und Freunde freitags im „E 18“ und können sich mit Vorträgen und Gesprächen rund ums Thema „Hören und Leben mit CI“ informieren.

Vom Mauerblümchen zum Schmetterling

Vom Mauerblümchen zum Schmetterling

Dr. Seidlers Antwort, wenn er nach dem Schönsten an seiner Arbeit gefragt wird: „Ganz simpel, die Leute mit meiner Arbeit zum Hören zu bringen, und das schnell und einfach. Die Wandlung vom Mauerblümchen zum selbstbewussten Gesellschafter immer wieder zu erleben, so dass meine Patienten auch wieder Kommunikationsberufe ausüben können.“ Seine Botschaft an alle CI-Interessierten: „Das CI ist dann sinnvoll, wenn die besten Hörgeräte den Alltag nicht mehr unterstützen können, trotz modernster Technik.“ Als Präsident des Deutschen Schwerhörigenbundes e.V. bringt er auch außerhalb seines beruflichen Umfeldes seine Fachkompetenz und seinen Erfahrungsschatz für den Gesundheits- und Pflegebereich ein. „Meine Hauptmotivation ist es, zu vermitteln, dass dieser Bereich ein spannendes und innovatives Feld ist und dass für eine gelungene Kommunikation beide Seiten - also auch Hörende - wichtig sind.“

Zusatzinformationen

Die MediClin Bosenbergklinik ist mit 273 Betten insgesamt und der HNO Abteilung von 130 Betten eine der größten Rehabilitationseinrichtungen für HNO, Tinnitus und Hörschädigung in Deutschland. Pro Jahr werden etwa 1.600 Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet rehabilitiert. Die CI Abteilung umfasst etwa 25 Betten. Die Maßnahmen werden von der DRV und den Krankenkassen auf Antrag bewilligt.

Curriculum Vitae Dr. Harald Seidler

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